Geburtstage sind ja immer ein guter Grund zum Feiern. Und wenn man, wie HÄMATOM, eine wirklich schlimme Zeit hinter sich hat und mit Unterstützung von Fans, Familie und allen weiteren ein Weitergehen statt Stillstand beschlossen hat, darf der auch groß gefeiert werden. Und so fand Ende August die zweitägige Feier zum 20 jährigen, der MASKENBALL statt. Insgesamt 8 Bands unterstützten HÄMATOM: u.a. Deutschlands meiste Band der Welt KNORKATOR, BEAST IN BLACK, DYMTRY, aber auch die Schlagerkombo FERNANDO EXPRESS und die Hip-Hoper 257ERS.
Als Location hatte man wie zum 15. Geburtstag das Amphitheater Gelsenkirchen auserkoren. Das Wetter spielte dieses Mal wesentlich besser mit, als noch vor fünf Jahren und die Fans konnten sich auf ein grandioses Wochenende freuen.
Um das Publikum durch das Line-Up zu führen, wurde mit Moderator Andi „Maschine“ Pooch extra ein Moderator verpflichtet, der jede Band nicht nur ankündigte, sondern auch verabschiedete.
Tag 1, 30.08.2024:
Eröffnet wurde der MASKENBALL von FOCUS. Und das ging erstmal schief, denn direkt beim ersten Song setzte plötzlich die Tontechnik aus. Sänger Eric versuchte es daraufhin einfach mit lauter singen, bis der Ton genauso plötzlich wieder einsetzte und es rockig weitergehen konnte. Das Mitmach-Programm (Hüpfen, singen, Hüften schwingen) lief zwar nur mäßig an, aber es wäre ja auch noch früh. Die Jungs hinterließen aber einen souveränen Eindruck und hatten ihren Job, das Publikum anzuheizen, ordentlich absolviert. Was auch das Publikum honorierte.
Anheizen und eine grandiose Stimmung erzeugen, konnte spannenderweise auch die nächste Band: FERNANDO EXPRESS brachten ihren Synthieschlager auf die Bühne. Ja, richtig gelesen: Schlager. Und teilweise in Performance und Songtitel und -texten so klischeehaft, dass man über die gute Laune im Publikum hätte staunen können. Aber FERNANDO EXPRESS haben einfach einen engen Bezug zu HÄMATOM und vor allem zu West. Und der war irgendwie auch mit dabei, denn beim Geburtstag vor fünf Jahren hatte er extra den Text von „Mit dem Albatross nach Süden“ auf Pappschilder geschrieben, die Sängerin Heidi auch dieses Mal wieder dabei hatte. West zum Gruße sangen alle mit. Und wanderten in verschieden langen Polonaise-Strömen durch das Theater oder tanzten im Walzer vor der Bühne. Heidi war übrigens das ganze Wochenende über auf dem Gelände anzutreffen.
Der seltsame Genre-Mix an diesem Tag ging munter weiter: mit den 257ERS sah sich das Publikum plötzlich einer Hip-Hop-Band ausgesetzt. Aber die Jungs Shneezin und Mirkoleader brachten so dermaßen viel Spass und Energie auf die Bühne, dass sich niemand beschweren konnte. Als wäre es das normalste auf der Welt bewegten sie sich vor dem Publikum, erzeugten eine Atmosphäre von Feiern unter Freunden und verbreiteten schlicht und einfach gute Laune. Und das in absolut chaotischer Art und Weise, denn irgendwie war immer viel zu viel los: ob nun durch die mitgebrachte und mehrfach eingesetzte Schaumkanone, die Bierrutsche, die Bierwanne oder die kostümierten Statisten. Ein bisschen Reizüberflutung. Aber im positiven Sinne. Dass die 257ERS und ihre wirklich gute Live-Show beim Publikum ankamen, zeigte sich auch an den Circle Pits, die sich zügig bildeten. Beim Abschluss, der 6-minütigen Trash-Pop Party, waren dann alle stimmlich mit dabei, als unter anderem „Captain Jack“, „Cotton Eye Joe“ und „Makarena“ erklangen.
Beim Co-Headliner näherte man sich stilmäßig dann wieder dem eigentlich Tenor des Wochenendes an: es wurde rockig hart mit KNORKATOR. Deutschlands meiste Band der Welt brachten nicht nur eine brachiale Show auf die Bühne, sondern lehrte das Publikum auch etwas. So wies Stumpen z.B. darauf hin, dass man bitte auf Adjektive bei den Ansagen achten möge, denn er hätte um frenetischen Applaus und nicht nur um Applaus gebeten. Frenetisch gab es dann auch. Dass man bei KNORKATOR auf unübliches während der Show eingestellt sein muss, zeigte sich auch in Gelsenkirchen: nicht nur mussten die Fotografen sich für einen Song auf die Bühne begeben, auch das Publikum war nicht sicher. So holte sich Stumpen das Handy eines Fans und hinterließ die eine oder andere Duftmarke darauf, bevor er es zurück gab. Nicht nur Stumpen und Alf Ator überzeugten durch ihren wirklich meisterhaften Gesang. Auch Alfs Sohn Tim, der „Böse“ den Fans entgegen schmetterte, und Stumpens Tochter Agnetha, die diverse Gesangsparts hatte, erwiesen sich als herausragende Stimmtalente.
Und dann kam er, dieser zugleich herbeigesehnte wie gefürchtete Moment: es war Zeit für die letzte Band des Tages. Das Geburtstagskind HÄMATOM eröffnete seine erste von zwei Shows des Wochenendes. Aber zuvor gab es noch etwas zur Einstimmung. Anfang des nächsten Jahres wird das neue Album von HÄMATOM auf den Markt kommen. Für dieses fehlt noch etwas besonderes, nämlich ein Fan-Chor zur neuen Version von „Wir sind keine Band“. Dieser wurde vor den beiden MASKENBALL-Shows aufgezeichnet, indem 10 min vor den Shows das Lied über Lautsprecher erklang und von den Fans komplett mitgesungen wurde. Was diverse Gänsehaut-Momente erzeugte, bevor HÄMATOM selbst die Bühne betraten. Und mit Gänsehaut ging es weiter, als der Vorhang fiel und die Band losdonnerte. Denn über dem Schlagzeug thronte ein riesiges Abbild von Wests Maske und auch ein riesiger Mittelfinger war im Bühnenbild integriert. Genauso, wie ein großer Strauß Rosen für Neumitglied Rose. Die Show drehte sich um die erste Dekade der Band, was sich in der Songauswahl spiegelte. Aber welcher Song auch immer an der Reihe war, ob „Ahoi“, „Butzemann“, „Teufelsweib“ oder „Neandertal“: das Publikum konnte jeden einzelnen mitsingen. Nicht nur die Fans vor der Bühne unterstützen HÄMATOM, auch auf der Bühne gab es Gesangsgäste. So wurde „Schau sie spielen Krieg“ durch Heidi von FERNANDO EXPRESS unterstützt. Und die 257ERS kamen gleich für zwei Songs in der Zugabe dazu, nämlich „Ficken unsren Kopf“ und „Diego Maradona“. Außerdem gab es noch Mexikaner mit Mini-Gitarren, Neandertaler und ganz viel Pyro. Sehr viel. So viel, dass Nord wohl selbst den Überblick verlor und dem Pyro-Ständer auf der Bühne in einem ungünstigen Moment zu nahe kam. Prompt fing seine Jacke Feuer. Der sekundenschnellen Reaktion von Ost ist es wohl zu verdanken, dass nichts schlimmeres passierte, denn er rannte direkt zum Frontmann und löschte dessen Jacke. Nicht nur die Pyro-Ständer spuckten Feuer, auch die Gitarren von Ost und Rose stießen zwischendurch Funken aus und ebenfalls nicht fehlen durfte die Drumsurfing-Runde von Süd. Ein immer wieder imposanter Anblick, der dieses Mal nur durch diesen einen Fan getoppt wurde, der auf den Schultern eines anderen stand. Um kurz vor 23 Uhr ertönte dann die finalen Takte „Dap da da da, Dap da da da …“ und zum Bierregen endete der erste Tag des MASKENBALLs.
Tag 2, 31.08.2024
Der zweite Tag des MASKENBALLs startete sonnig mit Temperaturaussichten bis nahe an die 30 °C. Auch wenn das Amphitheater eine wirklich herausragende und wunderschöne Location ist, kann es dort im Sommer schon etwas kritisch werden. Denn nur die Überdachung der Bühne selbst bietet einen kleinen Kreis an Schatten an. Der weitaus größere Teil des Geländes liegt in voller Sonne. Und so versuchten sich viele Gäste durch Abschirmungen mit Jacken, Flaggen und sonstigem zumindest etwas vor der Sonne zu schützen.
Musikalisch gesehen ging es schattig los: SCHATTENMANN eröffneten diesen zweiten Tag, der, die musikalische Vielfalt betreffend, etwas weniger kontrastreich gestaltet war als der Vortag. SCHATTENMANN mussten leider auf Bassist Luke verzichten, der kurzfristig ausgefallen war. Zum Glück hatten sie in Korbi schnell einen Ersatzmann gefunden, der sich so geschickt in das Bandgefüge eingebracht hatte, dass der Ersatz dem einen und anderen Gast zunächst gar nicht auffiel. Showmäßig boten die Jungs ihr gewohntes, sympathisches Spektrum an. Wobei Sänger Frank versuchte, sich dieses Mal in den Ansagen zurück zu halten, um das 30minütige Set nicht zu verplappern. Er konnte es sich aber nicht verkneifen anzumerken, wie überraschend gut drauf das Publikum für kurz nach 16 Uhr war. Und damit hatte er recht: seit Einlass auf das Gelände herrschte bereits eine wunderbare Stimmung (trotz Sonne), die sich im Verlauf des Tages von Band zu Band nur noch steigerte.
Auf die Neue Deutsche Härte von SCHATTENMANN folgte Nu Metal von MISTER MISERY. Die Schweden um Sänger Harley Vendetta machten mit ihren aufwendig geschminkten Gesichtern und den Outfits nicht nur optisch was her, sondern überzeugten auch musikalisch auf ganzer Linie. Dazu kam noch die herausragende Performance, denn wirklich jedes einzelne Mitglied der Band, selbst Drummer Rizzy, interagierte mit dem Publikum individuell auf seine Weise. Was im Gesamtbild wieder komplett stimmig war. Ihr Set enthielt ein Best-of der bereits veröffentlichten drei Alben und die abschließenden „Zugabe“-Rufe bewiesen deutlich, dass MISTER MISERY in ihrer 30minütige Show nicht nur die bisherigen Fans zufrieden gestellt, sondern auch neue Freunde dazu gewonnen hatten.
Auf geschminkt folgte maskiert: die tschechischen Metaller DYMYTRY enterten die Bühne. Und sorgten vorab für etwas Unruhe unter Security und Fotografen, da die Bandmitglieder selbst ihre Pyros steuern würden, aber niemand wusste, wann das wäre. Aufgrund der Aussage „Verdammte Fehlfunktion“ des aufgeregt im Graben herumlaufenden Crewmitglieds hätte dies auch innerhalb der ersten Songs passieren sollen. Es ist etwas unverständlich, dass nicht mal der Security, die im Graben stehen musste, mitgeteilt wurde, wann Pyros gestartet werden sollten. Die Fehlfunktion zog sich aber durch die gesamte Show (auch Ton war kurz mal betroffen). Trotz der Pyro-Unruhe lieferten DYMYTRY eine ordentliche Show ab und erfreute ihre überaus textsicheren Fans. Es lässt sich in Nachhinein aber nicht sagen, bei welchem Song das Publikum lauter mitsang: bei DYMYTRY selbst oder beim Outro zu Biene Maja. Die Umbaupasue konnten die Fans dann nutzen, um sich Autogramme und Bilder mit DYMYTRY abzuholen.
Den Anfang vom Ende leuteten schließlich die Finnen von BEAST IN BLACK ein. Die Kombo um Sänger Jannis zog gekonnt die Aufmerksamkeit des Publikums innerhalb weniger Sekunden auf sich. Dabei half nicht nur Jannis energiegeladene Aura, sondern auch die Show der Gitarristen Kasperi und Anton sowie Bassist Mate. In Sachen Posing macht den Jungs nämlich niemand so schnell was vor, das beherrschen sie in Perfektion und kosten dabei auch jeden Moment voll und ganz aus. Das erzeugt nicht nur Spass auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Gepaart mit der Ausnahmestimme von Jannis liefern BEAST IN BLACK so immer eine souveräne und begeisternde Show ab.
Nur eins trübte heute die Stimmung: nur noch eine Band und die Party wäre zu Ende. Das Positive daran: diese eine Band war wie am Abend zuvor wieder das Geburtstagskind und so sollten HÄMATOM auch am Samstag den MASKENBALL abschließen. Mit einer gänzlich anderen Show als am Vortag. Das einzige, was gleich war: die Choraufnahme zu „Wir sind keine Band“ vor der eigentlichen Show. Und auch wenn die Zwei-Tages-Gäste gewappnet waren: die Gänsehaut ließ sich auch heute nicht verhindern. Danach folgte etwas, das am Vortag fehlte: das Anheizer-Einhorn brachte das Publikum erstmal in Stimmung und testete dessen Verrücktheitsgrad, um die Eignung für die kommende Show zu prüfen. Einhorn war offenbar zufrieden, denn schon fiel der Vorhang und mit „Ein auf den Tod“ begann das feurige, emotionale, grandiose Spektakel zum Abschluss. HÄMATOM hatte für heute nochmal vieles im Set, was ihre Fans überglücklich machte. Songs wie „Gott muss ein Arschloch sein“, „Wir sind Gott“, „Bleib in der Schule“, „Scheisse kommt, scheisse geht“ ließen kein Stimmband ungenutzt. Zu „Behind the Mask“ kamen DYMYTRY dazu, später wurden zu „Diego Maradona“ die 257ERS eingespielt. Und immer wieder gab es Pyro (inklusive des immer wieder vorkommenden Hinweises der lebensrettenden Maßnahmen von Ost aka Horst vom Vortag). Und es gab diese Vielzahl an Gänsehaut-Momenten: ob beim Lichtermeer zu „Lichterloh“, bei der Akustik-Version von „Alte Liebe rostet nicht“, zu der Nord und Ost mitten ins Publikum gingen, beim Flaggen- und Banner-Lauf der Fans zu „Wir sind keine Band“ (auch HÄMATOM war die Rührung anzumerken) oder bei der ausführlichen Dankesrunde an alle Beteiligten kurz vor Schluss. Emotionen standen immer wieder im Vordergrund. Und zeigten genau, was HÄMATOM besingt: „Wir sind keine Band, wir sind eine Familie“ und als solche leiden, feiern, weinen und lachen wir miteinander. Und trinken. Oder lassen es Bier regnen. Wie zum Abschluss dieser wunderbaren Veranstaltung.
HÄMATOM hatten sich nicht lumpen lassen. Auch wenn der ein oder andere zu Beginn meinte, dass zwei Tage MASKENBALL vielleicht ein Tag zu viel wäre und dass gerade der erste Tag unnötig wäre: es war perfekt. Ob Rock-, Metal-, Hip-Hop- oder gar Schlagerband, das Line-Up an beiden Tagen hat funktioniert. Selbst diese seltsame, etwas chaotische Mischung von Tag eins. Auch FERNANDO EXPRESS und die 257ERS, die auf den ersten Blick so gar nicht ins Line-Up passten, fügten sich wunderbar ins Gesamtbild ein und erzeugten eine Stimmung, die sich manch andere Band nur wünschen kann. Da musste man sich schon das ein oder andere Tränchen verkneifen, als man seine Sachen einpackte und langsam, noch in den letzten Emotionen schwelgend, das Gelände verließ.
Aber hey, eigentlich gibt es einen Geburtstag doch jedes Jahr. Also könnte man doch eigentlich auch jedes Jahr einen MASKENBALL feiern. Oder?
Text und Bilder: Nina Hermes